28. Juni 2018

„Aufbauspritze für ärztliche IGEL-Leistungen?“

Diskussion um Einschränkungen für Heilpraktiker

 

Karl F. Liebau, langjähriger Chefredakteur der Fachzeitschrift Naturheilpraxis, verfolgt seit Jahrzehnten die Angriffe von Schulmedizinern auf die Heilpraktiker-Branche. In ihrer jüngsten Sitzung machte sich die Gesundheitsministerkonferenz erstmals zum Sprachrohr solcher radikaler Ärzteforderungen und stellte „eine zwingende Reformbedürftigkeit“ des Heilpraktikerwesens fest. Im Interview mit der Redaktion von HeilpraktikerFakten analysiert Karl F. Liebau die Substanz und die Hintergründe der Forderungen einiger Ärzte, die beim Deutschen Ärztetag 2018 thematisiert wurden und die seitdem Eingang in die politische Debatte gefunden haben.

Karl F. Liebau, Foto: privat

Herr Liebau, Sie waren drei Jahrzehnte Chefredakteur der Naturheilpraxis und kennen sich in der Heilpraktiker-Branche aus wie kaum ein anderer. Die Auseinandersetzung mit Schulmedizinern gehörte zu Ihrem Alltag. Wie sehr ärgern Sie die immer wiederkehrenden Forderungen der Ärzteschaft nach Verboten für die Berufsgruppe der Heilpraktiker?

Natürlich ärgert mich das auch, aber in erster Linie bin ich immer wieder verwundert, wie unreflektiert vor allem Ärztefunktionäre mit unserem Berufsstand umgehen. Wer sich auf dem Ärztetag für das Verbot von bestimmten Therapien und Krankheitsbildern bei Heilpraktikern ausspricht, sollte die Verhältnisse darstellen, wie sie heute wirklich sind. Hier hätte mehr Detailgenauigkeit zur Wahrheit gehört, anstatt vieles der Phantasie derer, die angesprochen werden sollen, zu überlassen. So entsteht der Eindruck, die Heilpraktiker dürften alles machen, was sie wollen, ohne entsprechende Verpflichtungen und Voraussetzungen erfüllen zu müssen, wie das etwa bei Ärzten der Fall ist. Das ist in Wirklichkeit völlig anders. Doch auf diese Weise wird dem Publikum suggeriert, dass der Ruf nach einem Verbot und nach Einschränkungen plausibel oder gar zwingend ist.

Wo werden klare Grenzen zwischen der Berufsausübung von Ärzten und Heilpraktikern gezogen?

Bei Arzneimitteln beispielsweise. Und das hat vielfältige Auswirkungen, weil ja auch Heilpraktiker mit Arzneimitteln therapieren. Heilpraktiker sind in ihrer Tätigkeit aus Patientenschutzgründen mit einem massiven Ärztevorbehalt belegt, indem ihnen die Haupttätigkeit eines Arztes bei Strafe untersagt ist – nämlich verschreibungspflichtige, stark wirksame und nebenwirkungsbehaftete Arzneimittel zu verordnen und/oder am Patienten anzuwenden. Und dabei handelt es sich um den Löwenanteil der in Deutschland nach dem Arzneimittelgesetz zugelassenen Arzneimittel. Dies stellt eine deutliche und umfangreiche Risikoabwehr im Sinne des Patientenschutzes dar. Heilpraktikern stehen lediglich zugelassene und registrierte Arzneimittel für ihre Behandlung zur Verfügung, die nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterstehen.

Was passiert, wenn ein Heilpraktiker verschreibungspflichte Arzneimittel empfiehlt oder anwendet?

Es können verschiedene Strafen - je nach Schwere der Rechtsverletzung - ausgesprochen werden, darunter in erster Linie auch der Entzug der Heilpraktiker-Erlaubnis. Der Heilpraktiker darf auch nicht auf Stoffe ausweichen, die keine oder noch keine in Deutschland zugelassenen Arzneimittel sind – auch wenn sie in anderen Ländern bereits erprobt und eventuell sogar zugelassen sein mögen. Wenn solche Stoffe – auch von Apothekern – zubereitet werden, um diese mit einem Indikationsziel am Menschen anzuwenden, erfüllen sie ab diesem Moment den Definitionstatbestand eines Arzneimittels. Sie stehen dann nach § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) unter vorläufiger ärztlicher Verschreibung und sind allein dem approbierten Arzt im Rahmen seiner Therapiefreiheit zugänglich. Dabei trägt auch dieser wegen des „experimentellen“ Charakters seines therapeutischen Vorgehens eine besondere persönliche Haftungsverantwortung. Auch dieses Vorgehen ist dem Heilpraktiker bei Strafe untersagt, wobei mit der Strafe, die ihn treffen würde, stets auch der Entzug seiner Erlaubnis einhergeht.

Die Verschreibungspflichtkriterien richten sich nach dem Arzneimittelgesetz. Fallen Naturarzneimittel auch unter dieses Gesetz?

Selbstverständlich. Auch die Naturarzneimittel, die der Heilpraktiker vorwiegend anwendet, sind nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen und müssen, was Qualität und Unbedenklichkeit betrifft, alle Kriterien erfüllen, die auch jedes andere Arzneimittel erfüllen muss. Lediglich im Bereich der Wirksamkeit ist der besonderen Wirkweise der Mittel der „Besonderen Therapierichtungen“ Rechnung zu tragen, wie zum Beispiel Phytotherapeutika, Homöopathika und Anthroposophica. Ein Teil dieser Mittel hat auch eine Zulassung als Parenteralia wegen der bei sachgerechter Anwendung äußerst geringen Risikoeinstufung. In Deutschland richtet sich die Verkaufsabgrenzung der Arzneimittel nach der Risikoeinschätzung jedes einzelnen Stoffes in seinen unterschiedlichen Darreichungsformen. Der Großteil dieser Stoffe ist in allen Darreichungsformen ärztlich verschreibungspflichtig. Einige Arzneien sind bis zu einer bestimmten Konzentrations- und Dosierungsgrenze als so risikoarm eingestuft, dass sie in ihrer oralen Darreichungsform aus der Verschreibung entlassen und als lediglich apothekenpflichtig eingestuft werden konnten. Sie stehen dem Endverbraucher zu einer behandlergestützten beziehungsweise eigenverantwortlichen, oralen Anwendung als Selbstmedikation zur Verfügung. Es gibt jedoch auch Medikamente, die in der oralen Anwendung zwar verschreibungsfrei, aber in einer Verabreichung unter Umgehung der Magen-Darm-Schranke wegen einer gewissen Risiko-Einstufung verschreibungspflichtig sind. Heilpraktikern stehen sie in dieser Darreichungsform nicht zur Verfügung. Die gesamten Maßnahmen zur Verkaufsabgrenzung von Arzneimitteln stehen nicht nur so im Arzneimittelgesetz, sondern werden stets auf den neuesten Erkenntnisstand gebracht.

Arzneimittel-Nebenwirkungen melden

Ein Thema beim Deutschen Ärztetag war die Forderung, dass alle invasiven Verfahren, wie chirurgische Eingriffe, Injektionen und Infusionen, aus dem Tätigkeitsgebiet der Heilpraktiker ausgeschlossen werden sollen. Die Begründung dafür war, dass diese Maßnahmen regelmäßig ein besonders großes Schädigungspotential beinhalten würden. Wie sehen Sie das?

Jede Pauschalisierung, wie beispielsweise jetzt in der politischen Entschließung des Ärztetages, bedeutet einen großen Rückschritt in der Risikoeinschätzung des einzelnen Stoffes. Anstatt eine differenzierte Risikoeinschätzung jedes einzelnen Stoffes vorzunehmen, wie es unser Arzneimittelgesetz vorsieht, sollen den Heilpraktikern Injektionen pauschal verboten werden, indem man diese Darreichungsform zum Verschreibungspflichtkriterium erhebt. Dass die Injektion eines bestimmten Stoffs, dessen orale Einnahme völlig harmlos ist, gewisse Risiken birgt, fiele auf diese Weise unter den Tisch, weil alle Injektionen pauschal der Verschreibungspflicht unterstünden – auch die, die stofflich gar kein Risiko besitzen. Generell sollte man die Injektionen nicht mystifizieren, obwohl sie unbeliebt sind und keiner die „Piekserei“ gern hat. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine hohe oder geheimnisvolle Kunst, sondern um eine erlernbare Technik, die durchaus nicht komplizierter als andere medizinisch-technische Anwendungen ist. Die Injektionstechniken werden übrigens an Heilpraktiker-Schulen mitunter auch von Ärzten gelehrt. Berufsverbände bieten zertifizierte Update-Schulungen an. Diese Disziplin ist zudem auch Gegenstand der Überprüfung zur Erlangung der Erlaubnis.

Was entgegnen Sie den Kritikern, die immer wieder betonen, dass Heilpraktiker Injektionstechniken nicht beherrschen?

So differenziert äußern sich die Ärzte hierzu nicht. Man beruft sich bei den ganz pauschalen Forderungen nach einem Verbot von Injektionen durch Heilpraktiker auf einen Zwischenfall, der nun auch schon zweieinhalb Jahre zurückliegt und der seitdem reichlich als Argument gegen den gesamten Berufsstand herhalten musste. Dieser Einzelfall rechtfertigt keinesfalls ein pauschales Verbot von Injektionen aus dem Therapiespektrum von Heilpraktikern. Bevor dieses Pulver allmählich zu Ende zu gehen droht, sollte es wohl noch einmal für diesen Schnellschuss des Deutschen Ärztetages herhalten – als Begründung für Einschränkungen und Verbote. Man sollte hier nicht mit zweierlei Maß messen. Bei den Ärzten kommt ja auch niemand auf die Idee, pauschal Behandlungsverbote auszusprechen, obwohl die Zahl an Kunstfehlern jährlich an die Tausend heranreicht. Ganz zu schweigen von anderen Opferfallstatistiken, wie die der Patienten, die an Krankenhauskeimen sterben. Sie gehen sogar in die Zigtausende.

Beim Ärztetag wurde auch gefordert, dass Heilpraktiker keine operativen Eingriffe mehr durchführen sollen. Führen Heilpraktiker denn überhaupt Operationen durch?

Nein. Beim Ruf nach einem Verbot von „operativen Eingriffen“ sitzt man offensichtlich der Verschwörungstheorie auf, dass es diese bei Heilpraktikern gäbe. Oder man behauptet dieses gegen besseres Wissen – was die Sache nicht besser macht. Zum beruflichen Selbstverständnis der Heilpraktiker gehört, dass sie keine operativen Eingriffe vornehmen. Ein Heilpraktiker weiß sehr genau, dass seine Praxisräume die Bedingungen eines sterilen OP-Saals nicht erfüllen. Außerdem sind sämtliche Anästhesiemittel nicht nur nach dem Arzneimittelgesetz, sondern in der Regel sogar nach dem Betäubungsmittelgesetz verschreibungspflichtig. Auf Zuwiderhandlungen stehen strenge Strafen und natürlich der Verlust der Erlaubnis. Den Heilpraktikern solche Methoden zu unterstellen, um dann nach deren Verbot zu rufen, trägt schon zynische Züge.

Eine weitere Forderung der Ärzteschaft war, den Heilpraktikern die Behandlung von Krebs zu untersagen. Schließen Sie sich dieser Forderung an?

Auch das muss man differenzierter sehen. Die Forderung, die „Behandlung von Krebs aus der Zulassung auszunehmen“, ignoriert das berufliche Selbstverständnis der Heilpraktiker in der Krebstherapie. Dazu gehört ganz klar, dass Heilpraktiker dieses Krankheitsbild nicht mit ihrer „selbstständigen Behandlung in Eigenverantwortung“ abdecken können, sondern eher ergänzend zu einer klinischen Therapie tätig werden. Die Rolle des Heilpraktikers als vertrauensvoller Berater auf Patientenwunsch kann man ihm doch nicht einfach verbieten, ohne den Patienten zu bevormunden. Er hilft begleitend, tröstend, eventuell auch lebensqualitätsverbessernd bei den zuweilen sehr belastenden klinischen Therapien mit – freilich in der Einsicht, dass diese zuweilen unumgänglich sind. Heilpraktiker haben die Fortschritte der klinischen Maßnahmen bei bestimmten Krebsarten durchaus anerkennend und erleichtert zur Kenntnis genommen und befinden sich diesbezüglich in der Realität unserer Medizinwelt.

Was glauben Sie ist der Grund dafür, dass diese Forderungen nach Einschränkungen für Heilpraktiker beim diesjährigen Ärztetag besonders lautstark gestellt worden sind?

Die Vermutung liegt nahe, dass es darum ging, die neue Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene zu beeinflussen. Sie hat durchblicken lassen, dass sie sich mit dem Behandlungsspektrum der Heilpraktiker und zwar speziell unter dem Aspekt des Patientenschutzes befassen will. Ich gehe davon aus, dass der Deutsche Ärztetag 2018 zum Anlass genommen wurde, um auf Initiative einiger Ärztefunktionäre eine Entschließung zu fassen. In der Entschließung begrüßte der Ärztetag diese Absicht der Koalitionsparteien, drückte mächtig aufs Tempo und verlangte, dabei unbedingt „ärztlichen Sachverstand“ einzubeziehen – was zu erwarten war. Doch Ärzte haben in unserer Gesellschaft an sich eine hohe Reputation und sie müssen damit besonders verantwortlich umgehen, wenn es um das Patientenwohl geht. Ärzte sollten darauf verzichten, eine solche berufspolitisch motivierte Entschließung mit der Sorge um das Patientenwohl zu begründen. Und sie sollten diese „Sorge“ vor allem nicht an verantwortliche Politiker herantragen, die sich darauf verlassen müssen, dass Empfehlungen von Ärzten auf wohlbegründeten Tatsachen beruhen. Leider lässt diese Entschließung des Ärztetags viele Tatsachen außer Acht – nicht zuletzt deshalb, weil man sich ja bisher nicht ein einziges Mal mit den Betroffenen, nämlich den Heilpraktikern, unterhalten hat, um vielleicht manches zu verstehen, was hier unverstanden einfach über die Köpfe der Heilpraktiker hinweg in Gang gesetzt werden soll. Immerhin sind doch die Heilpraktiker in der Alltagsheilkunde ein konkurrierender Berufsstand, dem man da etwas wegnehmen und ihn bevormunden will.
Vielleicht erscheint es nach Lage der Dinge nicht ganz unbegründet zu fragen, ob die ganze Forderung der Ärzteschaft an die Politik, dem Heilpraktiker etwas wegzunehmen, nicht vielleicht überhaupt mehr eine Aufbauspritze für die IGEL-Leistungen beim Arzt sein sollte?

Danke für das Gespräch.

Ein Service des BDH